Mensch, ärgere Dich nicht

Im Rahmen meiner Ausbildung absolviere ich auch Pflichtstunden in der Psychiatrie. Ich arbeite auf der geschlossenen Akutstation. Hier sehe ich Mütter und werdende Mütter, die psychisch schwer erkrankt sind und in ihrer akuten Krise behandlungsbedürftig wurden.

Psychosen, Schizophrenie, Boderline-Störungen, Depressionen.

Das Bild einer schwangeren Frau, die völlig in ihrem Wahn gefangen war und über einen längeren Zeitraum fixiert werden  musste und  mit Medikamenten behandelt wurde, ist in meinem Kopf eingebrannt. Sie wird ihr Kind behalten dürfen.

Trotz ihrer schweren chronischen Erkrankung.

Eine andere schwer erkrankte Mutter erhielt fast täglich Besuch ihres zweijährigen Sohnes in Begleitung des Vaters. Auch sie erhält Hilfe, um wieder gesund zu werden, auch sie kann voraussichtlich weiter Mutter sein und ihr Kinder großziehen.

Bei einem Spieleabend mit Patientinnen begleite ich eine junge Flüchtlingsmutter bei der Einhaltung der Spielregeln des Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiels.
Sie hat nie eine Schule besucht.
Vor eineinhalb Jahren ist sie aus einem Kriegsgebiet im Nahen Osten geflohen und hat viel Traumatisches erlebt.
Mit 23 Jahren hat sie schon drei kleine Kinder.
Sie sitzt im Rollstuhl.
In ihrer Angst und aufgrund ihrer Erkrankung ist sie aus dem Fenster gesprungen.

Seit vielen Monaten ist sie in der Klinik.
Sie sieht ihre Kinder nicht.
Ihre Sprachkenntnisse sind gering, ihre Beschäftigungsmöglichkeiten begrenzt.

Wir spielen Mensch-ärgere-Dich-nicht und plötzlich fängt sie an zu weinen.
Sie erzählt in einfachen Worten, dass sie seit 8 Monaten ihre Kinder nicht mehr gesehen hat und sie ihr unendlich fehlen. Tränen laufen ihr über das Gesicht und ich möchte sie am liebsten nur trösten.

Mit mir am Tisch sitzen zwei ältere Frauen, beide kinderlos.

Und völlig emphatisch, sagen sie beide:

„Das muss das Schlimmste sein, was einer Mutter passieren kann.“

Ich sitze dabei und kann nichts sagen….
Fünf schlimme Jahre habe ich schon hinter mir….

Die schlimmsten Jahre aber sind wohl die ersten…

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  1. Georg Z. sagt:

    Die schlimmsten Jahre sind ALLE Jahre, denn man erlebt nichts mit den Kindern zusammen und
    ich spreche ebenfalls aus Erfahrung.
    De Schmerz wird auch nicht weniger wie viele behaupten, er verändert sich nur, weil man sich selber
    aus Selbstschutz verändert.
    Ich bin aber trotz allem sehr viel Lebensbejahender geworden, genieße jetzt auch die kleinen Dinge
    und erfreue mich an den kleinen Dingen im Leben.
    Der Mensch kann sehr viel Leid ertragen ohne daran zu zerbrechen, diese Kraft bekommt er durch
    die menschlichste aller Gefühle, der Hoffnung.
    Wenn man sich selber etwas antut oder schwer erkrankt ist das nicht weil man die Hoffnung aufgegeben hat, es ist ein Hilferuf der Seele.

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