Eine russische Kartenlegerin empfahl mir am Telefon, eine Wodka Diät zu beginnen.

Dreimal täglich solle ich einen Esslöffel Wodka mit Olivenöl zu mir nehmen.
Und ich würde sehen, mein Problem verschwände.
Ich tat wie geheißen und trank schon morgens meine Medizin oder übte mich in der Diät.
Das größte Problem war der widerliche Geschmack vom Olivenöl
Ob es wirklich nötig sei, fragte ich mich.
Und wollte die Wirkung der Wodka Diät einfach nur mit Wodka spüren.
Also begann ich zu trinken. Jeden Tag einen Esslöffel und das morgens, mittags und abends.
Zusätzlich räucherte ich mich ein in meiner 2 Zimmer Altbau Wohnung in Frankfurt Rödelheim.
Räucherstächen, verbrannte Briefe, Wünsche und nur ein Fenster in der Küche.
Da sass ich , volltrunken und weinend, am Telefon wieder eine Frau. Diesmal eine Vodoo-Zauberin, vermutlich einen Schwarze. Sie murmelte verschwörerische Sprüche in einer fremden Sprache und versicherte mir, dass mein Fluch oder Wunsch, je nachdem , in Erfüllung ginge.
Bis heute weiss ich nicht, ob es gewirkt hat und leider auch nicht mehr, was ich verfluchen wollte oder tat.
Sicher war aber, dass ich ohne zu Zögern ein Vermögen für diese Beraterinnen am Telefon ausgab und fast schon zwanghaft diese, manchmal mehrmals hintereinander, anrief.
Das Geld rann mir aus den Händen wie feiner Sand.
Ich wurde immer verzweifelter.
Mich selbst umarmt hielt ich mich wiegend und erhöhte meine Wodka Diät auf 5 mal am Tag oder einfach je nach dem.
Das Haus verließ nur noch , wenn ich mit den Hunden verabredet war.
Im Tierheim im Taunus. Was mögen diese Leute von mir gedacht haben, jeden Tag war ich da. Jeden Tag wollte ich mit Benji laufen gehen. Nur er hielt mich noch in Frankfurt.
Das Arbeitsamt zahlte brav meine Arbeitslosengeld, ich kam gut über die Runden.
Benji und Bronko, ein blinder Schäferhund-Mix. Ich liebte sie beide.
Als Benji vermittelt wurde, kündigte ich meine Wohnung.
Sie war sowieso viel zu laut gelegen. Jeden Morgen um sieben Uhr graste die Kehrmaschine an meiner Strasse vorbei.
Zweimal rief ich die Polizei in der Nacht, weil ich fest der Überzeugung war, ein Stockwerk über mir wurde jemand erschossen.
Ein ohrenbetäubender Schlag riess mich aus dem Schlaf! Ich zitterte und wählte die 110. Völlig panisch, dass ich einen Schusswaffe gehört haben will.
Die Polizei klingelte bei mir, ich öffnete im Schlafanzug, sie können nichts feststellen. Es sei alles in Ordnung.
In Ordnung, dachte ich auch. Schloss die Tür fest und überzeugte mich, dass sie wirklich verschlossen war. Liess das Licht im Flur brennen. Mein Pfefferspray am Nachttisch.
Am nächsten Morgen öffnete ich den Kleiderschrank.
Zwei Regale hatte ich zum Platzen gefüllt mir tonnenschweren Ordner von Gerichtsakten. Die Last war zu viel. Die Regale konnten der Schwere nicht mehr Stand halten und sanken nachts in sich zusammen. Es muss wie Schüsse geklungen haben.
Ich war voller Angst. Angst vor dem Drogen-Junkie, der in der Wohnung zuvor mir drohte, mich umzubringen. Immerwieder.
Beim ersten Treffen fand ich ihn so nett. Er wollte mir für einen Zwanziger die Lampen installieren. Erstaunlich wie er dabei schwitze! So einen körperliche Anstrengung, dachte ich. Das Wasser lief wie Bäche über und aus ihm.
Ich war beeindruckt.
Ab und zu kam er mit seiner Freundin bei mir vorbei. Wir rauchten das eine oder andere. Ich hatte Essen im Kühlschrank. Sie stürzten sich darauf wie hungrige Bärenkinder.
Mir war alles egal.
Nur nicht, dass sie mittendrin aufsprang und in mein Klo kotzte.
Sie erzählte, dass ihr Baby nicht bei ihr sei.
Drogen und so.
Ich verstand. Scheisse, dachte ich.
Eines Morgens, es war vielleicht 6 Uhr früh, stand sie in Schlafsachen vor meiner Tür, völlig verheult und bat um Hilfe.
Der Typ hätte sie bedroht, sie habe Angst. Vorher hatte ich einen Höllenlärm gehört. Heute weiß ich, er hat im Drogenrausch versucht die Heizung von der Wand zu reißen.
Ich fuhr mit ihr zu Polizei nach Höchst.
Hoffte, dass sie ins Frauenhaus ginge.
Jaja, mache sie. Ja klar. Weg von diesem Typ.
Kurze Zeit war sie zurück.
Er bedrohte mich im Keller, als ich zur Waschmaschine ging, die sie mitbenutzten durften. „Ich bring DICH UM!!, drohte er mir.
Dass ich mit ihr zu Polizei ging, würde mir noch leid TUN!, schrie er völlig schweißgebadet.
Ich kaufte mir ein Pfefferspray. Der Verkäufer erklärte mir alles ganz genau.
Nur noch damit, ging ich aus dem Haus.
Die Polizei sagte lahm, sie können erst tätig werden, wenn etwas vorgefallen sei. Vorher leider nicht.
Na dann.
Ich kündigte die Wohnung.
Stieg völlig bekifft in die S Bahn nach Frankfurt und genoss den Schwindel auf den Rolltreppen im Einkaufscenter in der Innenstadt.
Wie ich Frankfurt verachtete.
Und dennoch:
Lief ich in den dunkelsten Gegenden allein von der Bahn nach Hause.
Es war ein Leben auf Messers-Schneide.
Auf welche Seite würde ich fallen?
Ich konnte es mir leisten ein Umzugsunternehmen zu beauftragen.
Weg von Frankfurt. Neubeginn in Nordrhein-Westfalen.
Einfach so. Weg.
Neue Wohnung. Ländlich ruhig. Ganz ruhig. Grün.
Entspannung. Keine Angst.
Der Lidl Fuß läufig.
Ich kaufe Billig-Pizza.
Das Schlafzimmer Fenster weit offen.
Im Fernseher lief auf ZDF eine Romanze. Ich fühlte mich so friedlich, sicher und geborgen.
Es war ein neuer Schritt in eine bessere Zukunft.
Und ich war schwanger.
Von wem war so egal. Hauptsache, wieder ein Kind, Mutter sein dürfen.
Sinn finden in der Tragödie.
Ein entsetzlicher Schrei, SCHREIE, erschreckten mich fast zu Tode , ich spürte wie mir das HERZ für Sekunden still stand , es schmerzte, diese Angst, dieser Schreck, durchbohrte alles in MIR. Vor Angst sterben!!!!!
Eine fremde Katze schlüpfte durchs offenen Sommerfenster in meine heilige beschützende Wohnung und kämpfte ums Revier mit meiner Katze.
Ich war erleichtert, trotzdem immer noch vor Schreck erstarrt und starr..
Immer noch erschrocken wischte ich die Spuren von Angst-Urin weg.
Mein Bauch fühlte sich kalt an.
Die Nacht schlief ich schlecht.
Am nächsten Morgen spazierte ich durch den Herbst.
Die Hände auf meinen Bauch. Immer wieder redete ich auf dieses Ungeborene ein, es solle sich melden, mir zeigen, dass es da sei.
Dabei wusste ich doch längst, dass es gestorben war. Vor Schreck.
Vor Schreck gestorben. Wegen einer Katze.
Einer Katze!
Was für eine Tragödie!!!
Ich bekam aufgrund meiner dramatischen Schilderung sofort einen Termin bei einem Gynäkologen. Mein zweiter Tag in der neuen Heimat und ich sah den Ultraschallkopf und das Ultraschallbild, noch vor 3 Tagen war ich zur Kontrolle gewesen.
Alles war in Ordnung. JA ich war über dem Berg. Diesmal würde ich es schaffen. Meine dritte Schwangerschaft. Oder meine fünfte. Meine Dritte nach dem Verlust meiner Kinder.
Zwei Fehlgeburten. Furchtbar. Furchtbar.
Der Vater trennte sich.
Furchtbar
Wodka Diät, Vodoo, Wahrsager, Kartenleger, Arbeitsunfähig.
Reihenfolge egal.
„Das Baby ist tot.“
„Kein Herzschlag mehr.“, sagte sie sachlich.
„Sie müssen zur Ausschabung in die Klinik. Ich rufe gleich an.
Kann sie jemand fahren?“, fragte sie.
„Nein!“, antwortet ich mit leise rinnenden Tränen.
„Ich fahre selbst.“, und dachte: wie immer.
Das tote Kind konnte man nur in zwei Operationen zerstückelt aus mir herausholen.
Ich hatte gehofft, es sehen zu können. Aber es war nicht möglich. Zerstückelt.
Anders ging es nicht.
Tot.
„Wir müssen uns Gedanken über die Beerdigung machen, Frau S.“, stresste eine Mitarbeiterin vom katholischen Krankenhaus.
„Ich will keine Beerdigung!“, heulte ich verzweifelt.
Ich will keinen Grabstein. Keinen Ort. Ich will ES vergessen. Wie die anderen zwei auch. Oder die anderen vier. Wie ich auch rechnete. Ich hatte nun mit diesem Kind, fünf Kinder verloren.
Eine Großfamilie, früher.
Das Kind wurde anonym in einer Massenbestattung mit anderen Fehlgeburten oder Frühchen bestattet.
Ich war noch nie dort, am Friedhof.
Ich bin gegangen und habe ein neues, ganz neues Leben angefangen.
Nochmal.
Wiedermal.
Vielleicht auch heute.